[Texte disponible qu'en allemand:]
Statement zu «Haarig» von Anka Schmid
Als letzten Film realisierte ich einen Dokumentarfilm über Dompteurinnen mit Tigern, Löwen und Bären (WILD WOMEN – GENTLE BEASTS). Wie gerne hätte ich das dichte Fell der schönen Tiere gestreichelt, aber dies war schlicht zu gefährlich, ja sogar tödlich. Dafür fiel meine Aufmerksamkeit auf unser menschliches Fell an Kopf und Körper und ich realisierte dessen symbolische Aufladung. Ich begann mit ersten Recherchen und Skizzen, entdeckte mehr und mehr das vielfältige Potenzial und die gestalterische Sinnlichkeit der Materie und entschied mich, diesen feinen Körperteil zu meinem nächsten Filmthema zu machen. Denn im Haar, in diesem winzigen Pars pro Toto, sind zentrale menschliche Fragen enthalten: die gesellschaftliche Dimension der Dazugehörigkeit und Abgrenzung, unser rebellisches und erotisches Potenzial, geschlechtliche Identität, Kreativität im Alltag und in der Kunst. Kopfhaare sind Körperschmuck und soziale Kommunikation: mit unserer Haarpracht können wir Aufmerksamkeit erhaschen, verführen, protestieren oder uns einer Gruppe zugehörig zeigen. Haare haben symbolische Kraft und jede Überschreitung ihrer Konvention ist ein politischer Akt. An den Haaren manifestieren sich Polit- und Musik-Bewegungen, reale biologische Geschlechtsunterschiede und gesellschaftliche Geschlechtervorstellungen, wobei ich hier nicht nur an die Kopfhaare, sondern auch an die Körperhaare und den Intimbereich denke. Haare liegen an der Schnittstelle von Natur und Kultur. Nicht nur die Haarnormen verändern sich mit der Zeit, ebenso verändert sich die Haarstruktur im Verlaufe unseres Lebens. Die Haare werden grau und immer weniger, ein sichtbarer Beweis unseres Alterungsprozesses, selbst wenn wir sie färben oder kahlrasieren. Dank den Haaren vollbringen wir täglich einen kreativen Akt: beim Frisieren, Rasieren, Zerzausen, Gelieren und wir entscheiden uns damit für Anpassung, Verweigerung, Provokation oder Spiel. Die Aussagekraft der Haare wird in der Kunst eingesetzt. Einige dieser Schlüsselwerke habe ich im Film integriert, weil sie mich in meinem Werdegang geprägt haben: Zum einen haarige Werke von Künstlerinnen wie Meret Oppenheim und Cindy Sherman. Zum andern Kunst-Aktionen und Happenings wie „Bed Peace – Hair Peace“ von John Lennon und Yoko Ono, bei denen das Paar mit dem Einsatz von „Haut und Haaren“ Kunst mit Politik verbindet. Dieses Filmprojekt reizte mich auch, weil ich meine beiden Tätigkeitsbereiche „Kunst“ und „Film“ kreativ enger miteinander verflechten und mit eigenen Trickfilmen erweitern konnte. Ganz bewusst habe ich das Genre des Essayfilms gewählt, um sowohl experimentelle und animierte, als auch dokumentarische und inszenierte Szenen sowie verschiedenes historisches und künstlerisches Archiv-Material sinnhaft verweben zu können. Meine Biografie vom Baby zur 56-jährigen Frau benütze ich dabei nicht für eine private Innenperspektive, sondern als roten, chronologischen Faden, um anhand meiner eigenen körperlichen und künstlerischen Entwicklung an die gesellschaftlichen Phänomene der letzten 50 Jahre anzuknüpfen und die Zuschauer/innen mit ihren eigenen Erfahrungen zu konfrontieren und zum Assoziieren, Reflektieren und Schmunzeln anzuregen.